Praxis für Psychiatrie Nürnberg | Kathrin Filip | Meta Hoffmann | Tobias Müller

Abwehr gegen Menschen mit erweiterter Geschlechtsidentität

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Trans* Phobie
Trans* Phobie ist ein verbreitetes Phänomen. Trans* Personen haben deswegen noch in bis in die 1980ger Jahre in weitgehender Verborgenheit gelebt und wurden Opfer schwerer Anfeindungen. Heute sind viele Menschen offener und interessierter gegenüber trans*. Es gibt aber immer noch (offene oder versteckte) Ablehnung.
 
Trans* Abwehr
Die Abwehr gegen trans* ist rationalen Argumenten oft nicht zugänglich. Die vorgebrachten Gründe ("krank", "kriminell", "pervers", "abartig", "gefährlich", "unnatürlich", etc.) wurden ausnahmslos widerlegt. Bis in die 1990er Jahre wurden solche Gründe zum Teil auch noch von Ärzten und Psychotherapeuten geäußert, und trans* Personen die erforderliche Unterstützung verweigert.
 
Woher diese Heftigkeit?
Dass sich Menschen herausnehmen, einfach Eigenschaften des "anderen" Geschlechts zu besitzen, gar die Rolle des anderen Geschlechts übernehmen wollen, scheint für manche Menschen eine große Bedrohung zu sein. Sie reagieren mit gefühlsmäßiger Ablehnung, Angst, Ekel, Ärger, Abscheu bis zu Hass.  Es scheint eine Art von Tabu zu bestehen (Tabu als kulturelles Verbot; bei Übertretung kommt es zu Aggression, Abwehr, etc.). Woher kommt dieses Tabu?

Tabu der Zweigeschlechtlichkeit
Aus psychologischen Untersuchungen weiß man, dass sich sehr kleine Kinder zunächst sowohl mit Papa als auch mit Mama identifizieren und verschwommen davon ausgehen, dass sie die Eigenschaften und Fähigkeiten von Mama und Papa besitzen (z.B. einen Penis haben UND Kinder bekommen können). Erst im Lauf der Reifung (und aufgrund der Wahrnehmung der eigenen geschlechtlichen Anatomie) ordnet sich das Kind einem Geschlecht zu; gleichzeitig muss es akzeptieren lernen, dass ihm die Möglichkeiten des anderen Geschlechts NICHT zur Verfügung stehen.
 

Mühsam erworbener Verzicht
Dieser Prozess ist eine psychische Anpassungsleistung und mit einem Gefühl von Verlust und Verzicht verbunden. Dieser Prozess der "Desidentifizierung", dieses Akzeptieren eines Verlusts, erfolgt in der frühen Kindheit und ist später dem Bewusstsein nicht mehr zugänglich (man kann sich daran nicht mehr erinnern). Mit 5 oder 6 Jahren scheint es dem Kind dann als völlig selbstverständlich, dass man sich entweder als Frau oder als Mann empfindet (und die entsprechenden psychischen Eigenschaften und Fähigkeiten hat). Das Kind hat dann den Eindruck, dass es nie etwas anderes gegeben habt und dass es auch nie etwas anderes geben könnte. Alles andere wird als "unnatürlich" betrachtet. Diese Einstellung bleibt häufig für den Rest des Lebens bestehen.

Neid auf die "Wechsler"?
Trifft man dann im späteren Leben auf Menschen, die diese strikte Abgrenzung (die so natürlich und "gottgegeben" erscheint) für sich selbst nicht leben (können), erscheint es einem manchmal so, als komme das eigene mühsam erworbene Weltbild ins Wanken. Die (inzwischen vergessene) Anstrengung, sich mit dem Verlust der Möglichkeiten beider Geschlechter abzufinden, wird plötzlich in Frage gestellt. Man selbst hat mühsam Verzicht geleistet, und plötzlich gibt es Menschen, für die das alles nicht gelten soll?!?

Empörung
Auf gefühlsmäßiger Ebene ist die Empörung über Menschen, für die dieser Verzicht nicht gelten soll, natürlich erst einmal nachvollziehbar ("Soll für diese Menschen etwa nicht gelten, was ich mir mühsam erworben habe [obwohl ich mich nicht mehr daran erinnere]?"). Einige Menschen reagieren dann so, als würde ein Tabu übertreten; das ganze Weltbild gerät ins Wanken, und nun werden alle möglichen Gründe herangezogen, um sich vor dieser verstörenden Erfahrung zu schützen  ("krank", "kriminell", "pervers", "abartig", "gefährlich für unsere Kinder", etc.), auch wenn diese Begründungen nicht haltbar sind.

 

Wer sich mehr darüber informieren möchte:

  • Irene Fast (1996) Von der Einheit zur Differenz. Psychoanalyse der Geschlechtsidentität. Taschenbuch: Fischer, Frankfurt.
  • Saketopoulou A (2020) Thinking psychoanalytically, thinking better: Reflections on transgender. International Journal of Psychoanalysis 101(5):1019-1030.


 Weitere Informationen (Links)

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